Hängt die Sau! – Bizarres von Gerichten einst und jetzt

Es ist angerichtet – das konnten die Fernseh-Zuschauer fast täglich mitverfolgen, wenn sie sich bei Dietschis im Schatten der Neu-Bechburg zuschalteten. Zuletzt gabs ein Stück von der Sau, die drei Wochen zuvor ein glückliches Landleben führte, bevor sie den Gang alles Irdischen ging. Das Gericht sah schmackhaft aus und war es wohl auch. Wo aber blieben die anderen Gerichte, die durchaus auch einiges hätten hergeben können. Die Rede ist von Gerichten im Sinne der Rechtsprechung. Antworten auf Fragen, die im Rahmen des Living-History-Projektes unter den Tisch fielen und hier – unter Berücksichtigung der kulinarischen Gerichte – ansatzweise zubereitet und aufgedeckt werden sollen.

Blutrichter, kaltblütige Henker und Folter. Die Rechtsprechung im Mittelalter ist voller Mythen und grausamer Geschichten. Doch im Gegensatz zur landläufigen Meinung vom «finsteren Mittelalter» war diese Zeitperiode kein rechtsfreier Raum. Bestimmend waren sowohl kirchliche als auch weltliche Massgaben bei der Rechtsprechung. Doch wie sah Recht und Gericht konkret im mittelalterlichen Alltag aus? Da es keine Staatsanwaltschaft gab, die Sachverhalte sicherte, so beruhten Gerichtsverhandlungen meist auf Zeugenaussagen und anderen «Beweisen». Dabei bezog sich die Rechtsprechung – oder was man dafür hielt – auf sämtliche Lebewesen. Fast die gesamte Fauna war im Lauf der Geschichte auf der Anklagebank. Rinder, Schafe, Mäuse, Käfer, Maden. Auch Elefanten. Ob man im Mittelalter mehr Respekt vor der Tierwelt hatte?

Es gibt berühmte und historisch wirksame Urteile, die gegen Tiere ergingen. Dazu gehört ein Verfahren 1386 in Frankreich. Es endete damit, dass ein staatlicher Henker ein Schwein an den Galgen brachte, das einen drei Monate alten Säugling mit einem Biss getötet hatte. In der Kirche des kleinen westfranzösischen Dorfes Falaise ist der Fall malerisch dokumentiert. Eine Szene zeigt das Schwein kurz vor dem Exitus. Dort trägt die Sau einen Strick um den Hals. Für die Hinrichtung war sie mit Jacke und Hose bekleidet.

Es war wieder in Frankreich am Morgen des Ostertages 1494, als abermals ein Schwein zum Mörder wurde. Der Hausherr war gerade auf der Weide bei den Kühen, seine Frau im Nachbardorf von Clermont im Nordosten Frankreichs. Da drang die Sau ins Haus ein und «ass das Gesicht und den Nacken» ihres Kindes in der Wiege. Das Schwein wurde festgenommen und in einem nahen Kloster eingesperrt. Der spätere Richterspruch: «Wir, in Abscheu und Horror vor besagtem Verbrechen und um der Gerechtigkeit willen, verfügen, dass das Schwein an den hölzernen Galgen gehenkt und erdrosselt werden soll.»

Zur Abwechslung mal ein Federvieh, das zehn Jahre zuvor wohl nicht richtig mitbekam, wie ihm geschah. In Basel verurteilte 1474 der Magistrat einen Hahn «für das abscheuliche und unnatürliche Verbrechen, ein Ei gelegt zu haben». Er endete auf dem Scheiterhaufen.

Und zur Abwechslung eine weitere Sauerei. In Jülich flochten einige Gerechte 1582 ein Schwein aufs Rad – in der Hoffnung, es möge anderen «zum abscheulichen Exempel dienen». Das Schwein hatte eine geweihte Oblate gefressen.

Neben Verfahren gegen gefiederte und ungefiederte Zweibeiner gab es solche gegen jede Menge Mehrbeiner: Rinder und Schafe, Mäuse, Käfer, Maden. Wölfe, Säue, Kühe, Pferde wurden verbrannt, erwürgt und geköpft. Auch Elefanten verendeten durch Erhängen oder auf dem elektrischen Stuhl.

Mary und Topsy – erhängt und «gestromert»

Weltweit berühmt wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts der Fall der von Natur aus durchwegs friedlichen, fünf Tonnen schweren Mary. Die Elefantenkuh jenes Wanderzirkus', der am 11. September 1916 im Bundesstaat Tennessee Station gemacht hatte, wurde an jenem Morgen erst von Unruhe, dann von Panik überwältigt, weil es nicht ihr Pfleger war, der sie zur Tränke führte. Es war ein Fremder. Eine Hilfskraft, ein Junge, der erst strauchelte, dann zu Boden ging, wo ihm einer von Marys vier panisch trampelnden Elefantenstampfern den Kopf zerdrückte. Der Sheriff beraumte die Hinrichtung des Elefanten an. Die fand am 13. September, dem Tag nach dem Unfall, statt, vor 3000 sensationsgierigen Zeugen. Es regnete, als man Mary an eine Eisenbahntrasse führte. Ein Ladekran stand dort.

Polizisten legten ihr eine Kette mit zwei Zentimeter starken Stahlgliedern um den Hals. Daran hievte der Kran Mary in die Höhe, sie zappelte mit ihren massigen Gliedern – und dann riss die Kette. Mary fiel und brach sich das Becken. Der zweite Versuch, mit einer verstärkten Kette und einem schwer verwundeten Tier, schlug nicht mehr fehl. Der Todeskampf habe zehn Minuten gedauert, schrieb die «New York Times».

Mary war nur einer von einigen exekutierten Elefanten in der grossen Zeit der Zirkusse Anfang des 20. Jahrhunderts. Jahre vor Mary kam ein anderer Zirkuselefant zu Tode: 1903 verendete Topsy an mehreren Zehntausend Volt. Den elektrischen Stuhl hatte ein Fachmann gebaut, der sich mit Elektrik und solchen revolutionären Dingen auch tatsächlich auskannte. Es war Thomas Alva Edison.

Der Hund in der Todeszelle

Schweine am Galgen, Elefanten auf dem elektrischen Stuhl, Hunde im Todestrakt. Dass Tiere sich vor Gericht zu verantworten hatten, war ziemlich lange gängige Praxis und endete erst in den 1990er-Jahren. Taro war der letzte, den ein US-Gericht für schuldfähig hielt. Taro war 50 Kilo schwer, fünf Jahre alt und gehörte der japanischen Hunderasse namens Akita Inu an. Der Schnapper hatte ein Mädchen gebissen – Pech für ihn, dass es die Nichte des Sheriffs war. Der fackelte nicht lange und zerrte ihn vor Gericht. Taro wurde rechtskräftig von der US-Justiz zum Tode verurteilt. Das war im Jahr 1991. Für Taro, den Hund in der Todeszelle, kam die Befreiung 1994, nach tausend Tagen im Knast. Dem Hund wurden weitere Tage in Haft erspart, allerdings mit Auflagen: lebenslanges Exil, Verbannung nach Alaska und Übergabe an neue Besitzer, die garantierten, für alle künftigen Schäden und Unfälle zu haften.

Und heute? Skurril und erschütternd zugleich

Den Tieren eine juristische Verantwortlichkeit zuzuschreiben, vertritt heute niemand mehr in der westlichen Welt. Aber als blosse «Sache» lassen die Juristen in der Schweiz seit 2003 nicht mehr gelten, was sich im Tierschutzrecht niederschlägt. Die Schweiz hat ihr Zivilrecht auf den Sonderfall Tiere angepasst. Es ist das einzige Land der Welt, das amtliche Experten für Tierrecht beschäftigt.

Es sind skurrile Fälle darunter, erschütternde – wie das Tierleben halt so spielt: der eine oder andere scharfe Hund, eine Boa, die entschlüpft war, ein gequälter Hecht. Dabei ging es um die Rechte eines Fisches gegen einen Angler, der wegen Tierquälerei angeklagt war. Bekannt geworden ist der Fall 2010 als so genannter «Hechtprozess» gegen einen Angler, dessen Beschreibung des Fangs eines 116- Zentimeter-Hechts mit einem langen Drill in einer Tageszeitung erschien.

Während über Fische, Schlangen und Schildkröten noch die Vorstellung herrscht, sie seien Gegenstände, keine leidensfähigen Lebewesen, sieht es dagegen bei Welpen, Kätzchen, Pferden viel besser aus, sagt ein berühmter Schweizer Rechtsanwalt, der im Bereich Tierschutzrecht tätig ist: «Mit denen hat man immer vor Gericht die gesamte Menschheit hinter sich.»

Da wäre noch das Jüngste Gericht. Aber das ist eine andere Geschichte…

Protz und Prunk – «Kraut und Rüben» bei Gerichten

Denken wir an Gerichte im Mittelalter, haben wir Tafelrunden mit gewaltigen Fleischmengen und tropfendem Bratensaft vor Augen. Das gabs durchaus: Der Adel stellte auch beim Essen Protz und Prunk zur Schau. So wurden beispielsweise Schwäne erst gekocht, um sie dann wieder mit Federn zu bestücken. Speisen jeglicher Art wurden püriert, der Effekthascherei wegen bunt eingefärbt und völlig überwürzt und gesüsst – man zeigte gerne, was man hat.

Anders das Fussvolk: In bäuerlichen Haushalten waren Gerichte gang und gäbe, die in einem einzigen Kessel zubereitet werden konnten – also Suppen und Eintöpfe, wobei ein Unterschied lediglich durch den Wasseranteil auszumachen war. Es wundert nicht, dass der Begriff «Kraut und Rüben» noch heute negativ belastet ist.