Von A wie Alter bis Z wie Zwiebelzopf

A wie Alter. Alt werden war im Mittelalter eine wenig verheissungsvolle Option. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug gerade mal 40 Jahre. Anders das Bauernhaus «Im Schatten der Burg – Leben vor 500 Jahren» bei der Neu-Bechburg, das eigens für die Dietschis auf einer Fläche von 6 auf 8 Metern neu zusammengezimmert wurde. Das konnte nicht alt genug aussehen. Damit die Fassade in einem dunkleren Ton erschien, wurde das Holz zuvor der Witterung ausgesetzt und die Oberfläche abgebrannt. Sieht nun aus, als ob es schon Jahrhunderte dem Wetter und der Sonne getrotzt hat. So viel zum Unterschied alt aussehen – alt sein.

B wie Baugesuch. Ein Baugesuch für den Nachbau des mittelalterlichen Bauernhauses im Schatten der Neu-Bechburg war nicht nötig, da es sich um einen temporären Fahrnisbau handelt, der anschliessend wieder vollständig zurückgebaut wird.

C wie Chräbeli. Chräbeli hiessen die kleinen, gebogenen Eisenhaken, mit denen die Zibeli aus der Erde gekratzt wurden, als um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts ganze Oensinger Familien mit Karren und Wägelchen auf die besten Anbauböden in der «Ebni», auf der «Rüti» unter dem Schloss und auf den «Vogelherd» zogen. Viele Familien haben durch diesen Nebenverdienst die Haushaltskasse aufgebessert. Anders als Steckzwiebeln, Saucezwiebeln und «Roller» werden Speisezwiebeln heute in Oensingen kaum mehr produziert. Sie stammen hauptsächlich aus dem Seeland, der Ostschweiz oder werden importiert.

D wie Dietschi. Dietschi heisst die sechsköpfige Familie aus Kestenholz, die sich auf Zeitreise «Im Schatten der Burg – Leben vor 500 Jahren» im Sommer 2017 ins Mittelalter begibt. Es sind dies Vater Christoph (48), Mutter Nicole (45) und die vier Kinder Katja (17), Simon (15), Maurin (11) und Ladina (8).

E wie Essen. Zum Beispiel das Essen von Erbsen, im Mittelalter das Fleisch des armen Mannes. Oder auch Eier als Proteinlieferanten. Einschlägige Spitalrechnungen aus dem Mittelalter lassen erahnen, in welchem Masse Eier zu den Grundnahrungsmitteln zu zählen waren: In jener Zeit verbrauchte das Basler Spital mit seinen rund 100 Personen 37000 Eier pro Jahr.

F wie Flachs. Flachs fand im Mittelalter zuerst als wildwachsender, bald darauf als angebauter Rohstoff Verwendung. Die Leinenweberei war im Mittelalter ein hochgeschätztes Handwerk, aus dem nicht nur Hemden, Kleider und Bettzeug, sondern auch Waffenröcke, Satteldecken, Hutbezüge und Paniere hervorgingen. Aus dem wertvollen Gewebe wurde alsbald ein lukratives Gewerbe, das zu den ältesten Industriezweigen gehört. Als ausgesprochen arbeitsintensive Produktion trug sie wesentlich zum Einfluss einzelner Regionen bei. Wie aus Flachs Leinen entsteht, kann auf Neu-Bechburg im Rahmen der Handwerker-Eventständen nachvollzogen werden.

G wie Gemüse. Die wortgeschichtliche Wurzel von Gemüse liegt im mittelalterlichen Sammelbegriff «muos», der gleichermassen Grütze und Brei bezeichnet. Wenn «muos unde brot» synonym für Essen gebraucht werden, wird die mittelalterliche Nahrung geradezu greifbar. Eigentlich hätte man im Mittelalter beten müssen: «Unser täglich Brot und unseren täglichen Brei gib uns heute». Zahlreiche Sprichwörter erinnern an den Brei, und vor allem in den Märchen begegnet er als Grundnahrungsmittel, oft zubereitet aus Bohnen, Linsen und Erbsen, am häufigsten aber aus Hafer.

H wie Hunger. Im Mittelalter gehörte der knurrende Magen zum Leben. Das Mittel dagegen war der Hafer – in Breiform. Wer ein authentisches mittelalterliches Gericht essen möchte, kann es mal mit einem in Wasser zubereiteten Haferbrei aus grobem Schrot versuchen – ungezuckert, versteht sich. Die Haferflöckli übrigens, wie wir sie heute kennen, gelten als «Nahrungsmittelrevolution der 19. Jahrhunderts». Wenn das gemeine Volk sich auf eine Leckerei unter dem alltäglichen Einerlei des Haferbreis freuen konnte, war es – Achtung H – Hirsebrei. Johann Fischarts episches, 1174 Verse langes Lobgedicht «Das glückhafft Schiff von Zürich» (1576) ist ein Beispiel dafür, wie spendefreudig doch die Zürcher waren und noch sind: Zwischen 1446 und 1576 besuchten sie alljährlich das Strassburger Schützenfest und brachten als Gabe stets Hirsebrei mit, der selbstverständlich noch warm war. So schnell waren die Zürcher unterwegs.

I wie Innereien. Traditionell wurden nach der Schlachtung von Tieren alle verwertbaren Teile in irgendeiner Weise verarbeitet und gegessen – und nicht nur in armen Haushalten. Da Innereien allgemein aber für weniger wertvoll und nahrhaft galten als das Muskelfleisch, wurden sie oft an Suppenküchen für Arme verschenkt. Daher der Begriff Armenkost. Auf diesem Hintergrund wurden Personen, die auf die Ernährung mit Innereien angewiesen waren, seit dem späten Mittelalter abfällig als Kaldaunenschlucker bezeichnet. Das mittelhochdeutsche Wort «kutel» in der Bedeutung «Eingeweide von Tieren» ist seit dem 13. Jahrhundert bezeugt.

J wie Jäten. Jäten war im Verlauf der Frühsommer und Sommer im vergangenen Jahrhundert auf den Önziger Zibelifeldern angesagt. «Die Jäter knieten auf schmalen Holzbritschen und zupften sorgfältig Unkraut um Unkraut aus der jungen Zwiebelkultur, stundenlang, tagelang», wie Armin Cartier die Oensinger Zwiebeln 1968 im Jubiläumsbuch «1000 Jahre Oensingen» beschrieb.

K wie Kuoni. Kuoni heisst der Raubritter aus dem Geschlecht der Freiherren von Bechburg, der der Sage nach bei lebendigem Leib in ein am Ostturm angebautes Häuschen eingemauert wurde und noch heute als Schlossgeist sein Unwesen treiben soll.

L wie Lot. An hohen Feiertagen gab es bei der mittelalterlichen Obrigkeit die eine oder andere Leckerei: «Fier negelin und 22 hüner und 20 kalbfus do ist zuo komen 6 lot Pfeffer 4 lot imber 3 lot negelin 26 lot des besten pulver 4 lot zimen 4 lot saffran und 36 mos wins 4 lot mandel.» Bevor Sie sich nun am Herd zu schaffen machen: Mit dem Lot ist das so eine Sache. Als ungenaue, aber anschauliche Faustregel gilt, dass ein Lot etwa einem «Löffel voll» entspricht – einem mittelalterlichen Holzlöffel. Das Lot (früher auch Loth geschrieben) war hauptsächlich im deutschen Sprachgebiet und in Skandinavien gebräuchlich. Es wurde in der Schweiz 1875/77 durch die metrische Masseinheit Gramm abgelöst. Aber noch im frühen 20. Jahrhundert war es in Koch- und Backrezepten als volkstümliche Masseinheit gebräuchlich.

M wie Mutterkorn. Das fürchterliche Schreien («Horrendissimus ululatus») der Erkrankten war meilenweit zu hören, mit unerträglicher Kreuzesqual («cum intolerabili cruciatu») gingen die Menschen zugrunde. So eine Schilderung aus dem Frühmittelalter. Und das kam so: Wenn man das Brot aufschnitt, floss die Krume schwarz heraus. Ass man sie aus lauter Hunger trotzdem, siehe oben. Ja, die Mutterkornvergiftung – auch Antoniusfeuer oder Heiliges Feuer genannt – trat im Spätmittelalter mit seinen erhöhten Niederschlägen und tieferen Temperaturen verstärkt auf. Sie wurde durch einen vornehmlich auf Roggenähren schmarotzenden Schlauchpilz ausgelöst, der erst im Lauf des 18. Jahrhunderts eindeutig als Ursache für die Mutterkornvergiftung erkannt wurde. Das «Mutterkorn» ist wesentlich grösser als ein Getreidekorn, schon 5 bis 10 Gramm frischen «Mutterkorns» können für einen Erwachsenen tödlich sein.

N wie Neu-Bechburg. Unter den rund 20 «gecasteten» Schweizer Schlössern fiel die Wahl auf die weithin sichtbare Neu-Bechburg oberhalb Oensingen, weil sie «super gelegen» ist, einen herrlichen Ausblick aufs Mittelland bietet, keine störende Kulisse aus der Neuzeit «im Schatten der Burg» hat und während der Sommerzeit nicht mit zahlreichen Veranstaltungen überfrachtet ist.

O wie Oensingen. Auf Oensinger Gebiet gehen die ältesten menschlichen Spuren bis in die Altsteinzeit zurück. In der Römerzeit lag Oensingen an einer strategisch wichtigen Verzweigung von Handels- und Heerstrassen und war die grösste römische Siedlung zwischen Olten und Solothurn. Der Ortsname ist alemannischen Ursprungs und führt ins 6. Jahrhundert zurück. Erstmals urkundlich wird Oensingen 968 erwähnt. Konrad von Burgund bestätigte damals die Zugehörigkeit von «Oingesingin cum ecclesia» zum Kloster MünsterGranfelden. «Oensingerli» heisst der Ortsbus, der im Halbstundentakt zwischen Bahnhof und Schloss-Strasse verkehrt.

P wie Panschen. Panschen war im Mittelalter nicht nur bekannt, sondern wurde sogar «schöngeredet»: Für das «Schönen» des Weins hält die im Jahre 1490 erschienene «Küchenmeistrey» vom Muskat bis zum Meerrettich zahlreiche Rezepte bereit. Vom «Schönen» ist es nur ein kurzer Schritt zum «Arzen» (arzen, anznen, Arznei, medizinisch behandeln, Wein künstlich verbessern). Die einfachste Form war natürlich das Wässern. «Arzen» kann aber auch das Verfälschen des Weins mit Apfelsaft und Birnenmost, mit Milch, Bier und Mehl heissen; und es kann gesundheitsgefährdendes «Schmieren» mit Schwefel, Bleiweiss und Vitriol bedeuten. Manche scheuten sich noch nicht einmal, Quecksilber und Salpeter zu verwenden.

Q wie Quitten. Quitten waren im Mittelalter bei Arm und Reich geschätzt – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Quitten durften an Tafeln von Königen und Adligen nicht fehlen, die sie bei Banketten und kulinarischen Luxusessen als Zeichen ihrer Grösse genossen. Der Botaniker, Arzt und lutherische Prediger Hieronymus Bock (* 1498 † 21. Februar 1554) sah in der Quitte gewissermassen das Wunderheilmittel und empfahl besonders den Armen die Frucht für die Hausapotheke. Auch Hildegard von Bingen schlug in ihrer «Causae et Curae» – Ursachen und Behandlungen (von Krankheiten) – Quitten als Heilmittel gegen Gicht und Rheuma, aber auch zur Reinigung und zum Abführen vor.

R wie Ritter. Ritter gibt es auf Schloss Neu-Bechburg noch heute. Einmal im Jahr schlägt der «Graf von Bechburg» altgediente Helfer zum Ritter. Der Oensinger Ritterorden von Schloss Neu-Bechburg zählt bereits über 80 Mitglieder. Bewerber müssen dafür Fronarbeit leisten. 100 Stunden Fronarbeit genügen, um vom Bürgergemeinde-Präsidenten anlässlich einer kleinen Feier auf der Bechburg zum Ritter geschlagen zu werden.

S wie Spornburg. Von der Typologie her ist Neu-Bechburg eine Spornburg. Sie liegt unterhalb des Berggipfels, aber steil über dem Tal und ist die am weitesten verbreitete Art der Höhenburg im deutschsprachigen Raum. Die Burg befindet sich auf einem 86 Meter langen und durchschnittlich 14 Meter breiten Felsband unterhalb des Roggen. Von der Bauform zählt sie zu den Spornburgen, allerdings sind alle Seiten befestigt.

T wie Tischzucht. Eine Tischzucht ist laut Duden eine «lehrhafte, meist dichterisch gestaltete Schrift des Mittelalters, die Anweisungen für das rechte Verhalten besonders bei Tisch enthält». Ihren Höhepunkt erlebten die Tischzuchten im 16. Jahrhundert, als sie in «grobianischer» Form mit satirischen Wendungen auftraten. Demzufolge sollen die vornehmen Tischgenossen nicht mit den abgenagten Knochen werfen, sie nicht in die gemeinsame Schüssel zurücklegen, nicht ins Tischtuch schneuzen...

U wie Uhr. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit waren private Uhren rar. Deshalb war eine öffentliche Zeitanzeige von grossem Nutzen. Bereits 1406 wurde die «Zitglogge» Solothurn erwähnt. Der Turm war mit einem Wächter besetzt, der eigenhändig zu den vollen Stunden die Glocke schlug. Doch weil die Turmwächter es zunehmend versäumten, die Stunden auszurufen und die Glocke zu schlagen, führte das zu Unregelmässigkeiten bei den Wachen auf den Mauern und an den Toren. Da installierte man nach und nach einen mechanischen Wächter, der wie die Wachposten mit Harnisch und Helm ausgestattet wurde. 1543 war die Uhr «altershalb abgegangen» und musste ersetzt werden. Das Solothurner Kunstwerk tickt bis heute und zählt zusammen mit dem «Zytglogge» in Bern zu den eindrucksvollsten astronomischen Uhren mit Automatenwerk in der Schweiz.

V wie Vogelherd. Im Mittelalter war ein Vogelherd ein Fangplatz, an dem verschiedene Vögel gejagt wurden. Während als Vogelherd meist Fangplätze für Kleinvögel bezeichnet werden, schliessen Vogelweiden auch Fangplätze für Jagdvögel ein. Der Vogelfang war bis ins 19. Jahrhundert eine beliebte Freizeitbeschäftigung auch oberer Gesellschaftsschichten. Die Herren, die nicht nur aus sportiven Gründen Vögel jagten, verboten im Interesse ihrer Jagdgerechtigkeiten – «Vogelherd» ist ein Rechtsbegriff und ein Rechtsanspruch – ihren Untertanen, «ain wilden Vogel schiessen, ouch jung Vogel von dem Nest nehmen». Klar, dass solche Verbote die Bauern auf die Palme äh… Burgen trieb; im Bauernkrieg sollten sie fordern, dass «Vogl und Wasser sol frei sein».

W wie Webcam. Drei Webcams geben Einblick ins Geschehen auf dem Filmset.

X wie X – der 21. Buchstabe des klassischen und der 24. Buchstabe des modernen lateinischen Alphabets – bezeichnet die Verbindung der beiden Konsonanten [k] und [s], also [ks]. Quasi [K]uoni auf der [S]pornburg. Der Buchstabe X hat in deutschen Texten eine durchschnittliche Häufigkeit von 0,03 %. Er ist damit der 26.-häufigste und zweitseltenste Buchstabe in deutschen Texten (inklusive ß). X ist ausserdem die römische Ziffer mit dem Dezimalwert 10.

Y wie Yersin. Es war der Schweizer Alexandre Yersin, der 1894 den Pesterreger entdeckte und einen Impfstoff entwickelte. Zuvor hatte allein im 14. Jahrhundert «der schwarze Tod» oder «die Geissel Gottes», wie man die Pest nannte, 25 Millionen Menschen getötet, ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung. Alexandre Émile Yersin wurde 1863 im kleinen Schweizer Weinbaudörfchen Lavaux am Genfer See geboren. Er studierte Medizin und gehörte zum inneren Kreis des Forscherteams rund um den Mikrobiologen Louis Pasteur. Die erste offizielle und schriftlich festgehaltene Beschreibung des Pest-Erregers findet sich in einem Brief Yersins, den er am 30. Juli 1894 der französischen Akademie der Wissenschaften vorlegte. Yersin weist nach, dass die Pest bei Mensch und Tier durch das gleiche Bakterium ausgelöst wird. Und so wurde er auch zum Entdecker der Rinderpest und zu einem der Mitbegründer des Veterinärwesens. Der Pesterreger trägt heute seinen seinen Namen: Yersinia Pestis.

Z wie Zwiebelzopf. Oensinger Zibelizöpfe kann man sich «Im Schatten der Burg – Leben vor 500 Jahren» selber zöpfeln. Im österreichischen Burgenland übrigens, wo das Zwiebelflechten ebenfalls ein seit Generationen ausgeübter Brauch ist, wurde im Jahr 1991 ein 660 Meter langer Zwiebelzopf geknüpft, der feierlich durch den Ort getragen wurde. Der 50. Oenziger Zibelimäret findet übrigens vom Samstag bis Montag, 28.-30. Oktober 2017 statt. us Juli / 2017